Punkte auf der Karte

640 KM, CA. 7.000 HM  |   12.4.2018
START: FRANKFURT AIRPORT, LUFTBRÜCKENDENKMAL
ZIEL: BERLIN, TEMPELHOF
Eine Etappe, Selbstversorger, keine Zeitnahme.
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Das ist die Definition des Candy B. Graveller, einer Radfahrt quer durch Deutschland dem Flugkorridor der Luftbrücke der Candy Bomber folgend und diese so ehrend. Schon letztes Jahr hat mich diese Veranstaltung in ihren Bann gezogen und ich folgte ihr ausgiebig. Dieses Jahr fand sie wieder statt und ich war noch mehr involviert. Der Mann machte sich nämlich auf den Weg in dieses Abenteuer. So hatte ich zwei Punkte auf der Karte, denen ich folgen musste, Jochen, und ein Punkt namens Jota. Jochen hat schon in seinem Blog berichtet, den Mann musste ich ein bisschen ausgefragen:

Andraktiv: Erzähl mal, wie du zum Candy B. gekommen bist. Wie fing es an?

Jürgen: Letztes Jahr hast du intensiv den Candy B. beobachtet und mir dann erzählt, was unser Freund Jochen gerade so Verrücktes treibt. Das hat mich gleich sofort sehr fasziniert. Erst dachte ich ja, du würdest gerne mitfahren, aber als es nicht so aussah, habe ich mich im Januar angemeldet. Startplatz Vierundzwanzig von Siebzig.

Und was hat dich an dieser Veranstaltung so gereizt? Radfahren kannst du ja eigentlich auch wann und wo du lustig bist. 

Für mich war der Anreiz, etwas zu machen, was mich an meine Grenzen bringt. Vielleicht auch darüber hinaus. So lange Strecken bin ich noch nie gefahren. Donau– oder Gurkenradweg sind ja inzwischen nicht mehr so die Herausforderung. Beim Laufen hatte ich schon eher solche Erlebnisse gehabt: Der Jakobsweg vor einigen Jahren, meine Marathons oder auch der Jakobslauf im letzten Jahr.

Bei so einer Fahrt steigt man ja nicht einfach mal so aufs Rad und sagt, ich bin dann mal weg. Hast du trainiert? Bergfahren, Graveln. Überhaupt Kilometer schrubben. 

Nö.
[Anm. d. Red: Natürlich hat er trainiert: Laufen, Spinning, Skifahren gehört auch zum Training.]

Wir haben gesehen, dass du in der Vorbereitung Tage und Nächte vor dem Computer gesessen und recherchiert hast. Was eigentlich?

Zunächst habe ich Erfahrungsberichte von anderen studiert. Und dann habe ich überlegt, was alles passieren könnte, was ich alles brauchen könnte und was nicht. Technisch. Und dann musste ich natürlich meine  Ausstattung ein bisschen aufstocken. Bis ich die optimale Isomatte oder den bestmöglichen Schlafsack gefunden habe, dauert es halt ein bisschen.

Ein ganz wichtiger Punkt war auch die Stromversorgung. Handy, Navi und natürlich die Beleuchtung brauchen Strom. Und weil ich mich nicht mit der Sorge um die nächste Stromquelle stressen wollte, habe ich eine Lösung gesucht. Bin ich ja nicht umsonst Elektroingenieur. Mein Rad hat jetzt ein neues Laufrad vorne mit Dynamo, der einen Akku speist, der im Gabelrohr versteckt ist. Oben im Steuerrohr habe ich jetzt eine USB-Steckdose für mein Cockpit. Sehr cool mit Blinkelämpchen, immer verfügbar, wenn ich genug fahre — und vor allem ohne Kabelsalat.

Erzähl doch ein bisschen mehr über dein Rad. 

Da gibt es nicht viel zu erzählen. Es ist kein Highend-Teil. Eher von der Stange und für deutlich unter tausend Euro vor drei Jahren. Ich war ja damals nicht sehr anspruchsvoll und wollte nur mein altes „gusseisernes“ Oma-Rad ablösen, mit dem ich viele Jahre überall hingekommen bin.

Warst du zufrieden  mit deinem Material?

Ja, die Packliste würde ich wieder so nehmen. Das Tarp würde ich eventuell daheim lassen. Das ist eigentlich gar nicht nötig, wenn man ein gutes Verzeichnis mit Schutzhütten dabei hat. Das war übrigens auch ein wichtiges Hilfsmittel, das ich nach langer Recherche gefunden habe: Eine OpenStreetMap-Abfrage mit Schutzhütten für den Offline-Betrieb. Habe ich auch für Trinkwasserquellen dabei gehabt, aber nicht so oft gebraucht.

Und dann ging es los. Aufgeregt?

Eigentlich nicht sehr. Meine Sorgen ist nur, irgendwas Essentielles vergessen zu haben. Den Abend vor dem Start war ich ja noch bei Jochen in Würzburg und das war eine nette Ablenkung. Und am nächsten Tag, am Donnerstag, ging es dann endlich los, nach Frankfurt mit dem Zug und um zehn dann endlich der Start.

Der Graveller ist jetzt vier Wochen her. Was sind die Bilder, die dir jetzt noch sofort in die Erinnerung springen?

Weniger Bilder. Mehr so die Leute. Ich war die meiste Zeit mit anderen unterwegs, und das war gut. Wir haben uns gut unterhalten, gegenseitig motivieren und auch mal bei technischen Problemen helfen können. Oder auch die traurigen Momente, in denen andere leider ausscheiden mussten, weil ihnen das Material kaputt gegangen ist.

Natürlich gab es auch die besonderen Wegstücke, die es einem schwer machten. Ein Baum im Weg, oder die Lehmstrecken, die ganz schön an Nerven und Fahrrad gingen.  Und dann stand in der nächsten Ortschaft einer mit einem Kärcher, der dir das Rad wieder sauber gespritzt hat. Auch wenn es kurz danach wieder vollgematscht war.

Das Fahren in die Nacht hinein, bleibt in Erinnerung. Wenn ich weiß, ich habe schon viel aber ich muss noch ein bisschen weiter, weil ich mir ja was vorgenommen habe.

Aber du musst ja nicht weiter fahren. 

Naja, irgendwie schon. Schließlich habe ich ja ein Rückfahrticket am Montag von Berlin heim. Das konnte ich nicht verfallen lassen. Dass ich schon am Sonntag ankam, war so nicht geplant. Ich hatte keine Ambitionen Erster zu werden. Ankommen bis Montag Mittag war das einzige Muss. Alles andere war Kür.

Rechnerisch hatte ich ein Tagespensum von 160 Kilometer. Und das bei einem Schnitt von fünfzehn bis zwanzig Stundenkilometer, muss man schon ein paar Stunden im Sattel sein.

Was war denn dein schönstes Erlebnis?

Das war die erste Nacht. Wir, mein Mitreiser David und ich, waren schon recht weit gekommen, weiter als der Tagesschnitt, schon die meisten Berge hinter uns, kurz vor Fulda, und suchten eine Schutzhütte. Die erste, direkt am Track gelegen, war schon überfüllt mit anderen Candy B.-Fahrern. Ein kurzer Blick auf mein Verzeichnis zeigt eine weitere Hütte etwas weiter und ein paar hundert Meter abseits des Tracks. Und die war einfach toll. Sauber, ohne Scherben auf dem Boden, luxuriös groß für zwei Personen, mit Tisch zum Ausbreiten der Klamotten. Ein echter Glücksgriff. Das ist eine schöne Erinnerung.

Und der größte Fail?

Hmm, vielleicht noch die letzten Kilometer vor Berlin durch den Grunewald. Die haben sich ein bisschen nach absichtlich eingebauten Schikanen angefühlt. Im Nachhinein lache ich darüber. Es wäre doch sehr langweilig gewesen, auf geraden asphaltierten Wegen nach Berlin reinzusegeln.

Selfie auf der Ehrenrunde am Tempelhofer Feld

Nein, es gab keinen Fail. Aber bei mir ist auch alles gut verlaufen. Jede Panne ließ sich reparieren: Abgebrochene Schraube an der Sattelstütze mit Kabelbindern, Platten sowieso, gebrochene Kette kann man auch flicken.

Man munkelt, dass du schon wieder neue Pläne hast. 

Natürlich! Der Jochen organisiert zum zweiten Mal den Mainfranken Graveller, der jetzt im Juni steigt. Der reizt mich natürlich besonders, weil der durch meine Heimat und Gegenden führt, die ich gut kenne, aber noch nie so erkundet habe. Letztes Jahr zur Premiere im Herbst hatte es mich schon gejuckt, aber ich hatte nicht genug Vorbereitungszeit und außerdem war ich die Woche davor den Berlin Marathon gelaufen. Das war mir zu riskant.

Für die zweite Auflage jetzt im Juni hatte ich schon zugesagt: Wenn ich heil in Berlin ankomme, mache ich auch den Mainfranken Graveller. Jochen, hiermit melde ich mich an. Mail folgt.

Hast du noch irgendwelchen guten Ratschläge für zukünftige Generationen Graveller, sei es Candy B. oder Mainfranken?

[Langes Nachdenken]
Eigentlich kann ich keine guten Ratschläge geben. Zum Fahrrad schon mal nicht. Teuer oder nicht, stabil muss es sein. Man reißt sich auch von einem fünftausend Euro-Rad das Schaltwerk weg, wenn es blöd lauft.  Für kleinere Reparaturen muss man halt Ersatzmaterial mitbringen und die Technik kennen. Und achtsam fahren hilft auch. Mit Gewalt durch den Lehm durch tut halt nicht immer gut. Lieber mal auf der Grasnarbe schieben.

Und dann fand ich es wichtig, eine nette Begleitung zu haben, die einen auch mal wieder aufbaut und mitzieht. Aber das ist Typsache, andere fahren lieber alleine.

Fit sollte man natürlich auch sein und sich das zutrauen. Oder genug Zeit haben, wenn man nicht so schnell ist. Wichtig ist, dass man will.

Danke.

Links:

 

11 Gedanke zu “Ein Punkt namens Jota”
  1. Danke für den Bericht. Die ”OpenStreetMap-Abfrage mit Schutzhütten für den Offline-Betrieb“ würde mich brennend interessieren. Was für eine App ist das?

    1. Hallo Rad kalt (?),
      das ist leider keine App einfach so, sondern ein etwas komplizierters Ding. Du musst mit einer Abfrage (ähnlich SQL) bei OpenStreet Maps dir alle POIs vom Typ Schutzhütte herunterziehen und dann irgendwie speichern. Ich sehe mal zu, dass wir bald einen entsprechenden Beitrag hier im Blog hinkriegen. Es haben sich auch schon andere interessiert gezeigt.
      Viele Grüße,
      Alexandra

  2. Liebe Alexandra, lieber Jürgen,

    danke für den Bericht! Ich liebe solche Unternehmungen und mag Bekloppte, die sich einfach mal auf sowas einlassen. 🙂 Herzliche Gratulation!! 😀

    1. Bitte gerne. Kann sein, dass demnächst noch mehr Beklopptheiten hier gemeldet werden 🙂

      1. Ach ja: »Anmeldung« heißt natürlich, den gleichen steinigen, dornigen Weg aller Angemeldeten zu gehen, und nicht über Bande in einem Blogeintrag der Ehefrau … 😉

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