Schöne Aussichten

Der Reisegeschichte dritter Teil beginnt jetzt. Für die Vollständigkeit eins und zwei.

Tag 5: Etsch und müde

Tramin nach Trento: 61,4 km,  3:34 h, 135 hm

Der fünfte Tag ist der fünfte Tag, an dem ich traditionell müde bin.  Ich merke schnell, dass heute nicht viel geht. Und ich lasse es zu. Dann sitze ich halt eine Stunde auf einer Bank und starre auf die Felswand gegenüber, wenn ich nicht Radler schaue. Amerikanische Touristengruppen auf Leihrädern. Pärchen, alte und junge, mit und ohne E. Locals, die ins nächste Dorf radeln, Solos wie ich. Und Rennräder, hauptsächlich mit Männern drauf. Und da hauptsächlich ältere Semester in Lycra. #OMIL 🙂

Der Radweg ist heute aber auch eine Rennstrecke. Lang und flach und wenig Unterbrechungen durch Straßenquerungen oder Mähmaschinen, die die Böschung säubern. Nur in Italien riecht es danach nach italienischen Kräutern.

Ich will bis Trento kommen. Und mich dann mit dem Zug hoch ins Suganertal cheaten. In meinem Tran verpasse ich jedoch Trento. Ich hatte das Garmin angewiesen mich nach Trento zur Via della Stazione zu bringen. Das war keine ganz gute Idee, weil diese Straße in einem Vorort gut hinter Trento an einem inzwischen stillgelegten Bahnhof liegt. Ich wundere mich nur kurz, warum irgendwann schon Rovereto, die nächste Stadt, ausgeschildert ist, denke aber nicht weiter nach. Das kostet mich gut zehn Kilometer. Der Bahnhof von Trento liegt übrigens an der Piazza Dante.

Immerhin schaffe ich es zügig, die Fahrkarten aus dem Automaten zu ziehen und keine Stunde später bin ich schon in meinem Hotelzimmer in Fersen im Suganertal, oder wie ich es lieber nenne: Pergine Valsugana. 12 Kilometer weiter und 350 Meter höher.

Tag 6: Durch das Valsugana

Pergine Valsugana nach Cittadella, PD: 100 km, 5:44 h, 418 hm

Gleich mal die Zusammenfassung vorweg: Der Radweg durch das Suganertal ist schön! Schöne Landschaft, bester Asphalt, gute Wegführung und Ausschilderung. Ein schöner Weg für die Seele. Der Brenta, der Fluss des Tales, ist noch klein und schlängelt sich.  Die Dörfer liegen meist abseits des Weges, direkt an der Strecke gibt es aber auch genug Einkehrmöglichkeiten, je nach Geschmack  mit Fett- oder Kaffegeruch.

Zu Beginn sind noch einige RadlerInnen unterwegs. Die Rennradler sind jünger und hübscher anzusehen als an der Etsch. Achtzig Kilometer ist der Radweg des Suganertals lang und endet in Bassano del Grappa. Die letzten Kilometer führen wieder auf Autostraßen entlang, was an meinen Nerven zerrt, weil der typische italienische Autofahrer ein anderes Verhältnis zu Abstandhalten hat als ich es gerne hätte und sicher finde.

In Bassano auf dem Kirchplatz überlege ich. So richtig fertig bin ich noch nicht. Bis jetzt ging es ja hauptsächlich bergab. Also buche ich mir ein Bett eine Stunde entfernt und lasse das Garmin ad hoc den Weg dahin planen.  Und das geht gründlich schief. Das Garmin ist nämlich auf Rennradmodus und nimmt scheinbar die größte und glatteste Straße zum Ziel. Dass die aber voller Lastwagen und meist auch ohne Randstreifen ist, von Radweg ganz zu schweigen, bedenkt das blöde Gerät natürlich nicht. Aber so richtig Alternativen gibt es auch nicht in dieser Gegend. Also Augen zu und durch.  Ich bin so froh, als ich die Stadtmauern Cittadella sehe und das Schild meines Hotels. Heilfroh, im wahrsten Sinne des Wortes.

Tag 7: Venedig!

Cittadella nach Chiogga: 98 km, 6:28 h, 71hm

Nach den Erfahrungen gestern habe ich mir meine heute Tour  nochmal vorgeknöpft. Komoot verspricht einen Großteil Radwege und kleine Straßen und trotzdem auf geradem Weg nach Mestre und Venedig. OK, dann will ich das mal glauben. Beim Schreiben kommt mir schon wieder die Wut hoch, daher nur noch ein paar Worte für die Strecke bis Mestre: Eine Frechheit, was hier als Radweg gilt. Meist nur auf einer Straßenseite, dann aber zweispurig. Die Seite wechselt regelmäßig. Bei jeder Einfahrt verengen Schilder die Durchfahrt. Straßen überqueren Radfahrer zwanzig Meter hinter der Einmündung. Und ganz ab und zu gibt es erholsame Radwege.

In Mestre, der Stadt vor der Brücke nach Venedig entdecke ich eine vielversprechende Fußgänger/Radfahrerbrücke in die ungefähre Richtung. Der Weg endet aber leider in einem Park ohne zweiten Ausgang.  Also doch wieder in den vielspurigen Verkehr. Kurz vor der Brücke nach Venedig blitzt an der Seite ein nagelneuer Radweg und ich finde auch tatsächlich eine Auffahrt auf den Radweg. Wo warst du, als ich dich am meisten brauchte?? Ich bekomme keine Antwort.

Die Brücke nach Venedig. Geschafft. Das typische Licht Venedigs. Die Stadt vor mir. So schön. Eigentlich war ich ja erst Ostern da, es ist trotzdem wieder schön. Ich habe nicht vor, in die Stadt reinzufahren. Vielmehr biege ich, wenn man reinkommt, gleich rechts ab und nehme die Fähre auf den Lido. Auf dem Weg dorthin passieren wir die riesigen Kreuzfahrtschiffe und die Ameisenkolonie am Markusplatz und ich bedaure die Stadt und ihre Bewohner.

Auf dem Lido ist es ruhig und genau die richtige Stimmung für Reflexion. Ich bin in Vendig. München – Venezia, naja, Bad Tölz – Venezia geschafft. Und war gar nicht mal so anstrengend. Nicht sooo anstrengend.

Vom Lido geht es mit der Fähre nach Pelestrina. Es ist Samstag Abend. Die Sonne verwandelt alles golden. Die Pelestrinesen sitzen mit einer Flasche Wein auf der Kaimauer und lachen. Friedlich-heiter. Die Stimmung ändert sich drastisch auf der letzten Fähre zum Festland nach Chiogga. Da ist es auch heiter, aber nicht mehr friedlich,. Eine große Gruppe Menschen fährt nämlich zum Feiern rüber. Sie sind alle aufgebrezelt, aufgedreht und haben Geschenke dabei. Sie kennen sich alle und sind sehr laut.  Saturday night bzw. Sabato sera!

Tag 8: Keine Flamingos im Po-Delta

Chiogga nach Adria: 88 km, 5:13 h

Mein letzter Tag. Morgen geht mein Zug ab Padua. Das wären dreißig Kilometer ab Chiogga auf italienischen Straßen und ein Tag zum Padua-Schauen. Aber eigentlich wollte ich ja auch ins Podelta und Flamingos schauen und Lust auf Stadt habe ich auch nicht. Also bleibe ich beim Plan und fahre Richtung Süden. Es ist Sonntag Vormittag und noch nicht viel los auf den Straßen. Der Weg hinein ins Po-Delta führt vorbei an alten Bekannten, die ich neulich noch als Babies kannte und die jetzt groß sind und münden. Erst der Brenta, dann die Etsch.

Die Straße in den Naturpark ist schnurgerade und wird gerne mal genutzt, um das Motorrad mal so richtig auszufahren. Haben ja keine Autobahnen, die armen italienischen Jungs. Und ich kriege jedes Mal einen Herzkaspar. Hinter Porto Levante wird es etwas ruhiger. Es ist auch Mittagessenzeit.

Laut Karte ist die Straße nur ein schmaler Streifen auf dem Wasser. In echt wirkt das aber gar nicht so, weil auf einer Seite ein Deich ist, der die Sicht versperrt. Flamingos sehe ich keine, glaube ich, aber einen Haufen andere Vögel, im Wasser und in der Luft. Ein Schwarm Stare macht seine Kapriolen vor mir, schreckt auf, wenn ich näher komme und setzt sich zehn Meter weiter wieder hin. Das Spielchen machen wir drei vier Mal. Ganz von weitem sehe ich einen Schwarm Stehvögel im Wasser und ich bilde mir ein, dass sie doch ein bisschen rosa schimmern. Vielleicht doch Flamingos?

Mein Ziel für heute heißt Adria. Von dort möchte ich den Zug nach Rovigo nehmen und dort übernachten. Ich sage dem Garmin, was ich will und es gibt eine vernünftige Zeitprognose. Ich könnte den Vier-Uhr-Zug schaffen. Irgendwann fängt das Garmin an zu spinnen und dreht die Prognose immer weiter in die Höhe. Was eben noch fünf Kilometer waren, sind jetzt zehn. Ich bleibe stehen, mache den Gegencheck mit Google und Komoot und schwanke zwischen „Könnte ganz knapp klappen“ und „Nimm den nächsten Zug in zwei Stunden“. Es wurde knapp. Sehr knapp. Zwei Minuten nach Abfahrtszeit rase ich in den Bahnhof. Der Zug steht noch. Der Zugführer ratscht noch. Ich versichere fünf Mal, dass ich wirklich nach Rovigo will. Erst kann es keiner glauben. Dann darf ich die Gleise überqueren und stopfe das Rad durch die zu enge und zu hohe Tür und atme auf. Das ist das Ende meiner Transalp-Radtour. Ich habe es geschafft! Abgehakt. Erledigt.

Die Rückreise von Rovigo nach Padua nach München ist unspektakulär und nicht der Rede wert.

 

6 Gedanke zu “Über die Alpen, Part 3: Suganertal, Veneto und Podelta”
  1. Liebe Alexandra,
    wow warst ja ganz schön lange unterwegs! Auf Twitter fehlen mir da oft Teile oder der Überblick.
    Ich finde, ein wenig Flexibilität im Umgang mit Plänen sehr angenehm. Was hilft die tollste Planung, wenn einfach mal sitzen bleiben und in die Gegend schauen so viel „besser“ ist in dem Moment?
    Jedenfalls hast du mir schon wieder „Glust“ gemacht, auch mal in südliche Gegenden mit dem Rad zu starten! Danke!! 😀

    1. Hallo Doris, das freut mich, dass meine Beschreibung nicht ganz abschreckend war. Einiges hat sich in den zwei Wochen zwischen Erleben und Niederschreiben auch schon beschönigt. Zwischendurch war ich nämlich ziemlich fertig, weil Radfahren in Italien abseits der ausgefahrenen und ausgewiesenen Radwege so richtig gar keinen Spaß machte. Ich fand es zwischendurch auch richtig gefährlich, ich bin angehupt und auch bedroht worden. Viel zu nah überholt, an den Fahrbahnrand gedrängt, wo der Asphalt nur noch eine Andeutung war. Nein, das ist wirklich nichts für schwache Nerven. Oder es braucht wirklich richtig gute Planung, um die sicheren Wege herauszufinden. Das wäre dann aber jenseits von Komoot und Google Maps. Ähnliche Erfahrungen hatte ich übrigens auch schon mal vor ein paar Jahren in der Nähe vom Gardasee gemacht. Aber, wie gesagt, auf den touristisch relevanten Radwegen ist es wunderbar 🙂

  2. Auweia, wir hatten gehofft, dass der Radweg von Mestre nach Venedig mittlerweile fertig ausgebaut ist. Wir hatten dort das Gefühl, dass wir auf die Autobahn auffahren (was durch zahlreiche hupende Autofahrer noch verstärkt wurde)… Aber der Anblick vom Meer und Venedig selbst entschädigt doch für (fast) alles, oder? 🙂

    1. Da war ja ein super Radweg bis kurz vor der eigentlichen Brücke. Den wäre ich auch gerne länger gefahren, wenn ich ihn schon vorher erwischt hätte. Ich weiß gar nicht, wo der herkommt. Wollte ich noch recherchieren.

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