Ich habe mich bei Freundinnen in Feldafing am Starnberger See angekündigt und beim Radlkollegen den besten Weg dorthin angefragt. Zurück kam von ihm seine „kleine Runde um den See“: 120 km, 850 hm. Aber lauter schöne Wege. Nach meinem Rekordflug letzte Woche schien mir das jetzt nicht vollkommen abwegig. Also beschäftige ich mich am Vorabend intensiv mit der Streckenführung. Ich schreibe mir jede Kreuzung auf, wenn nötig mit Kilometerangabe dazu und schicke mir diese Liste per Mail aufs Handy. Weil mein Handyakku so eine lange Tour auf jeden Fall nicht durchhält, wenn ich ihn immer mit komoot oder Google Maps belaste, und meine Garmin-Uhr die Funktion „Strecke an Gerät senden“ verweigert, probiere ich es halt mal so.

Start wie vorhergesehen gegen halb elf. Wetter diesig, mäßig warm mit ordentlichem Westwind. Die ersten fünf oder sechs Kilometer durch Stadtgebiet. Das ist gut, da kann ich mich warmtreten. Dann die schnurgeraden Strecken durch den Perlacher Forst. Sechs Kilometer nur geradeaus. Und natürlich latent bergauf und heute noch mit fettem Gegenwind. Mehr als vierundzwanzig Kaemha kriege ich selten hin. Noch bin ich aber guter Dinge.
In Grünwald über die Isar ist leicht, aber drüben wieder hoch, das schaffe ich nicht in einem Rutsch. Habe ich aber auch nicht erwartet. Ich mache eine Pause in der Spitzkehre zum Pulsrunterholen und halte für mich fest, dass Timmelsjoch und andere noch nicht in meiner Kategorie sind bzw. umgekehrt.

Schneisenreisen
Schneisenreisen

Also weiter: Neben der Autobahn auf der Olympiastraße Richtung Süden und Oben gegen den Wind. Das strengt mich an. Der Anstieg bei Wangen strengt mich an. Die Durchfahrt durch Starnberg strengt an (allerdings weniger körperlich). Der Weg am See nach Feldafing mit blödsinnigen ausgeschilderten Radwegabstechern nach oben strengt an. Inzwischen brennt die Sonne auch noch. Völlig fertig erreiche ich das Zwischenziel. Fünfzig Kilometer, über zweieinhalb Stunden. Die Freundinnen sind beeindruckt. Wahrscheinlich auch von meiner Gesichtsfarbe. Die folgenden Stunden kann ich mich im schattigen Garten erholen und überlegen, wie ich wieder heim komme.

Als die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht, die Gewitterwolken abgezogen und meine Speicher wieder aufgefüllt sind, ist es schon nach drei. Inzwischen ist es klar, dass ich nicht mehr die lange Runde unten um den See mehr mache. Die Alternative ist die Olympiastraße gen München. Ein Klassiker. Und Belohnung für viele Mühen. Die Freundin hatte leuchtende Augen als sie davon erzählt. Denn da verliert man auf zehn Kilometern gerader Strecke etwa hundert Höhenmeter.

Schöne Aussichten
Schöne Aussichten

Ich entscheide mich dafür und verschiebe die Oberlandidylle um den See auf ein andermal. Vor der Abfahrt stehen noch ein paar Auffahrten und Starnberg mit seiner ungewönlich hohen Dichte an gut gepflegten, bestimmt sehr wertvollen aber unglaublich stinkenden Oldtimern. Hinter Wangen mache ich noch einen Stop und stopfe mir meine matschige Banane rein. Tomatenmozarella macht doch nicht so lange satt. Und dann geht es los: Ich fliege dahin mit fünfunddreißig, manchmal fast vierzig. Mein Pulsmesser zeigt 150 an. Ich kann es nicht glauben, das muss die Freude sein. Bei den entgegenkommenden FahrerInnen erinner ich mich, wie es mir vor ein paar Stunden noch ging und ich kann verstehen, dass das anstrengend war.

Fast schon im Münchner Stadtgebiet schaue ich auf den Tacho und sehe, dass mir nur noch fünfundzwanzig auf die hundert fehlen. Da ich das auf dem direkten Weg nicht zusammenkriege, beschließe ich noch eine Schleife zu fahren. Nach einer weiteren Forstdurchquerung, allerdings diesmal auf Steinsandwegen, bin ich wieder in Pullach. Der ausgeschilderte Radweg nach Grünwald geht erstmal mörderisch steil zur Isar runter und schweigt sich dann aus. So verpasse ich Grünwald und lande ich auf einem Schotterweg die Isar entlang. Weil zurück keine Option ist, fahre ich halt weiter bis Großhesselohe. Über mir die Brücke. Das wäre auch eine Premiere. In meinen vielen Jahrzehnten in München, war ich noch nie auf dieser Brücke. Meinen Ehrgeiz habe ich irgendwo auf der Strecke verloren und so steige ich ab und schiebe das Rad das Hochufer hoch. Später sehe ich, dass es ein Garmin-Segment für diese zweihundert Meter Anstieg gibt (natürlich), und der Erstplatzierte mit über achtzehn km/h da hochgehirscht ist, der zweite auch und der dritte dann nur noch mit elf.  Ich bin jetzt auf Platz vierundzwanzig mit meinen geschobenen vier km/h. Sagt ja keiner, dass das alles gefahren sein muss, oder?

Die Brücke ist schön, an sich schon, ihre Lage, der Ausblick nach Norden und Süden und die Stimmung darauf. Unten reges Treiben am, im und aufm Fluss. Oben lauter aktive Leute, laufend, radelnd mit unterschiedlichen Gefährten. Ich lächel vor mich hin. Und dann rattert auch noch der Zug im oberen Stockwerk entlang. Noch eine Premiere: Ich schlabber meinen ersten Powerenergiebeutel. Die Banane von vor der Olympia-Abfahrt war nach der Olympia-Abfahrt auch schon wieder verbrannt und die Eisdiele in Grünwald habe ich verpasst. Geschmack Green Apple. Naja, wenn’s fit macht.

Frisch aufgezuckert, trete ich weiter gen Grünwald, dann wieder auf einer Schneise durch den Forst, diesmal bergab mit Rückenwind. Ich fühle mich gut und stelle fest, dass nichts weh tut, der Nacken nicht, der Po nicht, die Handgelenke nicht. Und auch sonst geht es mir ganz gut. Hätte ich doch mal die Route unten rum genommen. Aber wer weiß, wie das geworden wäre. Der Sommer ist ja noch lang, da kommt sicher noch eine Gelegenheit.

München - Feldafing und zurück
München – Feldafing und zurück

Auf der Suche nach Kilometern streife ich noch allerlei nette Ecken: Den Neubiberger Umweltgarten, in dem sich Schaf und Ziege und Huhn den Vorstadtkindern präsentieren, einfach so und ohne Eintritt.  Das Straßenfest einer Freiwilligen Feuerwehr, und dann bin ich in Neuperlach und schon quasi zu Hause. Und ich erinnere mich an vor ein paar Jahren. Da hatte ich nämlich meinen Arbeitsplatz dort und war so unglaublich stolz, dass ich die fünf Kilometer zur Arbeit mit dem Rad gefahren bin. Habe es überall herumposaunt und kam mir so groß vor. Jetzt fahre ich diese fünf Kilometer am Ende einer Hundertkilometertour. Natürlich auch stolz, und herumposaunen tue ich es auch. Aber eigentlich wollte ich allen, die sich noch nicht an die ersten fünf herantrauen, versichern, dass man mal anfangen muss und dass es stetig besser wird. Brückenanstiege oder Unterführungen, die früher Angst einflößten, fallen irgendwann nicht mehr auf. Also: Fangt an!

 P.S.: Das Bild der Streckenführung sieht übrigens so aus, wie sich die ganze Tour angefühlt hat: Irgendwie unrund, verzupft und ohne Plan. Optimistische Kinderaugen sehen hier allerdings einen Vogel mit einem langen herunterhängendem Schwanz von der Seite. Oder einen Geierkopf mit Zipfelmütze.
7 Gedanke zu “Olympisch”
  1. Den Geier bzw. das Comic-Fabelwesen mit Schwanz sehe ich auch mit meinen Altfrauenaugen 😉

    wenn auch hakelig, dennoch eine schöne Tour!

    1. Hallo Lizzy, da fällt mir spontan folgendes ein:

      < Anfang Platitüde >
      Mit Kinderaugen die Welt zu betrachten ist keine Frage des Alters 🙂
      < Ende Platitüde >

      Viele Grüße,
      Alexandra

  2. ja, wenn der Anfang erst mal geschafft ist, dann sind plötzlich Dinge möglich, an die man selbst vorher nie geglaubt hätte. 🙂
    100 km, und das auch nicht topfeben, das hättest du vor einigen Monaten selbst nicht erwartet, oder?
    Und mit dem laufen funktioniert das ganz genau so, erst ist es schwer, und plötzlich läuft man Marathon 🙂
    Herzlichen Glückwunsch zu deinem Durchhaltevermögen auf dieser 1. 100 km Tour.
    Da werden mit Sicherheit noch weitere folgen.
    Liebe Grüße
    Helge

    1. Achja, der Marathon. Du kennst meine Einstellung dazu 🙁 Aber lange Touren werden auf jeden Fall noch folgen. Die Seeumrundung gehört auf jeden Fall dazu.

  3. Liebe Andra,
    wow! Von 5 auf 100 sozusagen – das ist bewundernswert! (Ich bewege mich noch immer im 5-10er Bereich!)
    Eine tolle Strecke hast du dir da ausgesucht und am tollsten finde ich deine paar zusätzlichen Haken, um die 100 noch voll zu machen. 😀

    1. Was tut man nicht alles für die Statistiken 🙂 Dabei sollte es doch egal sein, ob 99 oder 101. Ist es aber irgendwo doch nicht. Dein 5-bis-10-Bewegungsbereich bezieht sich aber nur aufs Radfahren?! Laufend geht bei dir doch wesentlich mehr. Beneidenswert!

    2. Liebe Andra,
      ich glaube, mir gehts mit dem Radeln so, wie dir mit dem Laufen. Anfangs ist es halt immer anstrengend und dann weicht man lieber auf die Sportart aus, die leichter fällt. Und ohne regelmässiges Tun, wirds eben auch nicht besser! 😉 Aber es ist schon ok, ich radle eben nur dann, wenn ich nicht laufen mag – weil ich muss ja auch auf nichts trainieren!

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