Tag 3: Maldon – Chelmsford – Epping 62 km
Nach einem netten Abend in einem Maldoner Pub mit meinem alten Freund Mark und seiner neuen Freundin Jo und danach einer sehr kalten Nacht im Zelt mache ich mich weiter auf gen Westen.
Mit Hindernissen, denn in diesen Tagen findet in Essex das Ride London-Essex Straßenrennen Event statt. Da wo ich bin beziehungsweise, wo ich hin will, radeln die Pro-Damen. Dreimal sehe ich den Tross vorbei ziehen, was jedes Mal mit bis zu einer Stunde Wartezeit verbunden ist So kommt man nicht besonders gut vorwärts. Nett sind aber die Gespräche während der Wartezeit. Da sind sie ja gut drin, die Engländer*innen. Und ich inzwischen auch.
Nachdem es dann doch schon recht spät war und ich in der Nacht mehr gefroren als geschlafen hatte, will ich bis Chelmsford und mir dort ein warmes Bett besorgen. So der Plan.
Was ich nicht wusste: In Chelmsford tobt ein riesen Festival an diesem verlängerten Wochenende und alle Hotels waren ausgebucht (bis auf die, die 500 Euros nehmen) und Campingplätze auch. Neuer Plan also nötig.
Ich suche in der App des British Camping and Caravaning Clubs, bei dem ich ja Mitglied bin, nach Optionen, telefoniere mit ein paar Mailboxen und warte ein bisschen in der Sonne. Ausgerechnet der Campingplatz, der an weitesten weg ist, ruft zurück. Na gut. Hilft ja nix. Google sagt 20. Passt.
Allerdings sagte Google im Kleingedruckten auch „Miles“. Also eher so 35 Kilometer. Das wird mir aber erst später klar. Der Weg raus aus Chelmsford gestaltet sich wieder schwierig, weil manche Pfade eher klein sind und ich an einem dieser Mega-Kreisverkehre nicht den geheimen Weg in den rettenden Park finde. Ich schiebe dann am Seitenstreifen, bis ich eine Lücke in der Hecke finde. Lieber peinlich als tot.
Der Weg bis Epping ist wirklich schön, idyllisch und voller kleiner Überraschungen, wie der Bach, der quer über die Straße fließt, und Männer im Familien-SUV, die mich danach fragen: „Is there a stream down there?“ „Yes, there is.“ „Excellent!! 😁“. Ich erwäge kurz, hinterher zu fahren und zuzuschauen wie Papi hin und her durch die Riesenpfütze fährt. Ich lasse es dann, weil ich schon genug Höhenmeter hinter und noch einige vor mir habe. Dieses Essex hat echt seine Höhen und Tiefen. Zum Glück ist Samstagabend und überhaupt nichts los auf den Straßen.
Die letzten Kilometer zum Campingplatz, der wie viele seiner Art an einen Pub angeschlossen ist, geht es krass bergab. Ich komme an ein paar anderen Pubs vorbei und verstehe, warum die Straßen leer sind. Die Leute hocken alle im Pub! The Merry Fiddler, mein Ziel, ist auch voll mit einer Geburtstagsgesellschaft, ohne fröhlichen Geiger leider, dafür mit zeitgenössischer Beatmusik.
Mir egal, die Dusche ist klasse heiß, die Wiese riesig und die beiden Autobahnen in der Nähe überdecken alle Geräusche eintönig aber effektiv.
Tag 4: Epping – London 33 km
Sechs Grad ist echt nicht viel, trotz Daunenschlafsack und Merino überall. So liege ich nach dem Aufwachen und warte sehnsüchtig, dass die Sonne das Zelt und mich aufwärmt. Zusätzlich gönne ich mir nochmal eine warme Dusche.
Ich komme mit Simone aus Regensburg und Gespräch, die mit ihrem VW-Bus in Großbritannien allein unterwegs ist, um Englisch zu lernen. Die hat ihren Job gekündigt und sich ein halbes Jahr genommen. Wohnt bei Leuten, wo sie im Haushalt hilft und dafür Essen und Englisch bekommt. Und das mit über sechzig. So mutig!
Simone drängt mir noch einen Kaffee auf, den ich gerne annehme, weil ich habe ja heute Zeit. London ist gar nicht weit weg, ein paar Straßen sind wieder gesperrt, weil heute einige große Jedermann-Rennen hier entlang führen und ich erst am Abend mit Irina und Dardan verabredet bin. Das sind zwei von Zuhause, die auch gerade in London Urlaub machen, was ich auf Facebook gesehen habe.
Der Weg in die Millionenmetropole ist überraschend grün. Waldstücke, Wildparks und dann The River Lea. Mit einem Treidelpfad von ca. 150 cm Breite, wenn keine Brennesseln reinwachsen. Für mich alleine würde das ja reichen, aber es gibt noch die Radler*innen stadtauswärts und in jeder Richtung Fußverkehr. Es ist Sonntag und die Sonne scheint. Und der Fluss ist an mehreren Stellen gut durch Parkplätze erschlossen. Mit anderen Worten: es ist voll!
In Tottenham reicht es mir und ich nehme Abschied von der Natur und begebe mich auf die Suche nach der legendären Radinfrastruktur Londons, den blauen Cycle Highways, den Protected Bikelanes. Well, in Tottenham sind sie nicht. Macht aber nix, weil hier Tempo 20 vorgeschrieben ist, also ca 30 km/h.
Mit Google im Ohr steuer ich mein Hotel an. Auf einer richtig breiten Straße halte ich extra an, um das Schild an der Busspur genauer zu lesen: Busse, Taxis und Räder immer und zu jeder Zeit. Unter Tränen der Rührung (oder Sonnencreme in den Augen, wer weiß) fahre ich sicher auf einer über drei Meter breiten Spur am Autoverkehr vorbei. So schön.
An den weniger offensichtlich komfortablen Stellen, sehe ich zu, dass ich Locals folge. Manchmal ist die Radspur für mich nicht gleich zu sehen, wahrscheinlich, weil ich dort einfach keine erwarte. Oder dass der Radverkehr eine eigene Grünphase hat, um sicher rechts abzubiegen, so schön!
Vollkommen entspannt komme ich in der Travelodge in der Kings Cross Road an, darf mein Rad mit ins Zimmer nehmen und bin so zwei meiner größeren Sorgen des Tages los.
Schön spannend wieder. Weiß ich, muss man selber machen, aber bisschen Miterleben ist bei der Beschreibung möglich. Danke. Gute Fahrt weiterhin 👍
Klar sollst du miterleben, dafür schreibe ich das ja alles 😁