Da bin ich also, radelnd in England. Inzwischen mit 200 Kilometern auf der Uhr und in London angekommen. Und erst Tag 5.

Und schon eine Menge Eindrücke. Gemischter Art, wenn ich ehrlich bin. Aber von Anfang:

Die Anreise war anstrengend aber unspektakulär. Der ICE von München hatte tatsächlich den gebuchten Wagen mit dem Radabteil dabei. Fahrt durch die Nacht mit ein bisschen Verspätung natürlich. Der Umstieg in Düsseldorf morgens um sieben daher eher hektisch, und leider unnötig hektisch, weil ich dann in Venlo nämlich warten musste, bis es neun war und ich mit dem Rad in den nächsten Zug nach den Haag steigen durfte. Dann folgten gut 20 Kilometer holländische Cycling Experience vom feinsten. (Muss ich hervorheben, weil es dramaturgisch noch wichtig wird.)

Verkehrsschilder für Radverkehr in Holland
Radinfrastruktur in den Niederlanden

Für die Fähre hatte ich mir eine Kabine gegönnt und den größeren Teil der sechs Stunden Überfahrt Schlaf nachgeholt. Das war eine gute Idee.

In Harwich von der Fähre, Grenzkontrolle (aber nen Stempel gibt’s nicht in den Pass), und los geht’s.

Menschen warten auf die Einreise nach England am hafen
Einreise-Schlange in Harwich

Nachdem ich die erste Woche auf dem Eurovelo 2 (Galway-Moskau) unterwegs sein wollte, folge ich pflichtbewusst den Schildern, die es hier gut sichtbar gibt. Die führen mich in einem Schlenker in und um Harwich, was um diese Abendzeit schön leer und ruhig ist. Gut um Linksfahren und Rechtsabbiegen zu üben.

Die Strandpromenade ist wunderbar zu fahren (wegen gutem Belag und ordentlichem Rückenwind), die bunten Badehäuschen könnten englischer nicht sein und ich freue mich.

Dank intensiver Vorbereitung mit Google Streetview finde ich das Castle Inn in Ramsey recht schnell. Zelt aufbauen klappt inzwischen auch ganz gut. Und ab ins Bett. Ende Tag 1. 8 km.

Tag 2: Ramsey-Colchester-Maldon 74km

Weiter geht es also auf dem Eurovelo 2, der aber nicht mehr ganz so oft als solcher ausgeschildert ist, was aber egal ist, weil er deckungsgleich mit der National Cycling Route 51 ist. Und die 51 leuchtet echt überall in rot an Gabelungen und sogar regelmäßig auf Straßen, wo gar kein Abzweig möglich war.

Wenn man so einer Route folgt, dann hat das seine Vor- und Nachteile. Du sparst die eigene Navigation, und du weißt, Locals haben den Weg gescoutet und für gut befunden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie anstrengend das sein kann. Die Leute, die sich um den 51er gekümmert haben, denken vermutlich, dass es eine gute Idee ist, eine Runde durch, ich sag mal, Colchester zu drehen.

Leute wie ich hingegen, die einfach nur in Ruhe radeln wollen, finden es ganz schrecklich, in eine extrem laute, extrem volle Stadt zu fahren, die sich hauptsächlich durch das Fehlen von Radinfrastruktur auszeichnet. Leider habe ich viel zu lange gebraucht, um da wieder raus zu kommen. Auch weil ich an einer entscheidenden Stelle die 51 übersah und plötzlich vor einem Kreisverkehr der Hölle stand. In Colchester habe ich viel geschoben.

Der restliche Weg bis Maldon war dann auch so gemischt – straßentechnisch. Mal superidyllisch, wo es niemanden überraschen würde, wenn Inspektor Barneby plötzlich auftauchte, dann so mittelgroße Straßen mit etwas mehr Verkehr und tatsächlich auch sowas, was bei uns Bundesstraße wäre.

enge Straße mit Hecken
Hecken statt Randstreifen

Was alle diese Straßen gemeinsam haben? Sie sind allesamt zu schmal, haben keinen Seitenstreifen, nicht mal die großen, und die Autos darauf fahren viel zu schnell. Vor Dörfern steht auf der Straße ein SLOW gemalt, meist schon verbleicht, irgendwo im Gebüsch ein kleines Schildchen mit ner 40 drauf, es sieht aber nicht so aus als würde das jemanden interessieren. Achja, es sind 40 mph also fast 60 km/h. Das merke ich aber erst später.

Zu all dem kommt dazu, dass sie hier nicht wirklich überholen, so mit abbremsen, rechts ausschwenken und vor dir wieder einschwenken. Nein, man fährt einfach weiter als sei nichts gewesen, nicht mal ne Radlerin mit Gepäcktaschen, deren Ellenbogen Zentimeter vom Außenspiegel entfernt ist Ich war noch nie so bemüht meine Spur zu halten wie in diesen Tagen. Ich bin auch schon lange nicht mehr so weit an der Asphaltkante gefahren wie in diesen Tagen, und ich hatte schon lange nicht mehr soviel Angst im Straßenverkehr. Und niemals hat mich jemand aus einem Auto heraus einen Fucking Idiot genannt, weil ich auf einer kleineren Nebenstraße radel und Platz wegnehme.

Fahrrad auf einer Promenade
Wivenhoe in der Sonne

Nach all diesen Erfahrungen muss ich mich bemühen, die schönen Erinnerungen zu behalten. Die Pause in der Sonne am Quai von Wivenhoe, der Blick in die hügelige Landschaft von Essex, und die Tasse Tee, die mir eine Camperin in die Hand drückte, als ich am Campingplatz ankam.