Meine Eltern haben ein Abo bei den Münchner Philharmonikern, und weil die Mutter hustet, springe ich für sie ein. Gegen Abend brezel ich mich also auf, entstaube meine feinen Schuhe und mache mich auf Richtung S-Bahn. Aber nur drei Meter. Denn dann merke ich, dass die Schuhe zwar angemessen für einen Konzertbesuch sind, aber nicht für die siebenhundert Meter zur S-Bahn taugen.
Also schwinge ich mich aufs Rad und bin schmerzfrei und schnell am Bahnhof. Dort gibt es ganz schicke Fahrradgaragen mit Duplex-Ständern, seit Jahren schon, bisher hatte ich bloß nie Bedarf. In der ebenerdigen Reihe ist schon alles voll, also wuchte ich mein Rad in einen der oberen Ständer. Ich freue mich, dass mein Rad so leicht und ich so groß bin. Also kein großer Act. Draußen sehe ich dann eine Anleitung, wie ich es mir einfacher hätte machen können. Ich merke mal wieder, dass ich zwar von Berufs wegen Bedienungsanleitungen schreibe, sie aber generell nicht lese. Zumindest nicht vor Gebrauch und selten für Geräte mit weniger als zehn Funktionsteilen. Das Berufsmotto meiner Zunft „Liest ja eh keiner“ stimmt bei mir leider.
Der zweite Teil der Geschichte hat mit dem ersten gar nichts zu tun, außer, dass es am gleichen Tag stattfindet: Vor dem Konzert erzählt mir mein Vater, dass der zweite Klarinettist aus Wittlich kommt, dem gleichen Ort, in dem auch ich meine Jugend verbracht habe. Er ist einige Jahre jünger, aber trotzdem finde ich das lustig und irgendwie berührend. Während die Philharmoniker ihr Bestes für Tschaikowskis Vierte geben, denke ich über Kindheitserinnerungen nach, über die fünf Wittlicher meiner Generation, die ich kenne und die es zu erfolgreichen Berufsmusikern gebracht haben. Und dann fällt mir Herrmännchen ein, der im Heimat-Epos von Edgar Reitz aus dem fiktiven Dorf Schabbach, fünfzig fiktive Kilometer von uns daheim, auszog, um ebenfalls im realen München Musiker zu werden. Unter all diesen Gedanken nähert sich die Symphonie ihrem wirklich furiosem Finale, und die Becken und Trommeln reißen mich aus meinen Träumereien.
P.S.: Mit anderen Schuhen hätte ich mich vielleicht auch noch in die Lange Nacht der Museen gestürzt. Aber so war das leider keine Option. Und zuviel Kultur ist ja auch nicht gesund.