Der Frühling 2023 lässt sich wirklich enorm Zeit. Viel Regen, sogar Schnee zwischendurch und durchgehend kalt. Aber es hilft ja nix. Wir müssen Kilometer machen, das Straggler und ich. Mindestens so viele als Vorbereitung wie der Radurlaub lang sein soll. Und ich bin schon gut im Defizit, daher geht es heute los. Regen ist erst für nachmittags angesagt, und den starken Westwind setze ich wirksam zu meinen Gunsten ein. Straggler und ich fahren nämlich einfach nach Osten. Wir entscheiden uns für den Panoramaweg Isar-Inn. München-Wasserburg. Bissel unter sechzig Kilometern. Teile davon sind mir bekannt.
Die Temperatur beim Losfahren ist irgendwas zwischen kalt und gehtso, und das ist genau richtig, um verschiedene Jackenkombis auszuprobieren. Fazit jetzt schon: Die Winterdaunenjacke ist zu warm. Fleecejacke plus Regenjacke ist auch nix, weil zu dicht, außer es windet wie blöd, so wie heute, dann ist es ganz gemütlich. Ein paar weitere Optionen habe ich noch im Schrank, die ich noch ausprobieren werde.
Schon vor zehn Uhr morgens ist alles bereit zur Abfahrt. Nur die Garmin-Uhr macht ewig rum, weil sie kein GPS findet. Ich ignoriere sie irgendwann, und damit fehlen uns halt ein paar Kilometer für die Statistik. Aus der Stadt raus geht es schnurstracks nach Osten, also immer fein mit Rückenwind, was gut und sicher ist. An den Stellen, wo der Weg sich später gegen den Wind dreht, hat es mich ein paar Mal ganz schön aus der Spur gehoben.
Bei Kilometer sieben kommt mir bayrische Folklore in Form eines Maibaums entgegen. Ich vermute, er gehört (noch) den Grasbrunner*innen, die alles daran setzen werden, ihn die nächsten 30 Tage nicht zu verlieren.
Ich trete weiter nach Osten, mal durch Wald, mal durch Wiesen, mal Naturboden, mal Asphalt. Von Frühling ist auch hier ganz wenig nur zu sehen. Buschwindröschen im Wald, ein einzelner Löwenzahn, kleine blaue Blümchen. Dürftig insgesamt.
Langsam wird es hügeliger, und ich bin gespannt. Das Straggler (oder doch lieber der Straggler?) hat ja eine Übersetzung, die mich easy-peasy über Hügel bringen soll – haben sie mir versprochen. Und in der Tat: Ich musste kein einziges Mal absteigen und schieben. Nicht. Ein. Mal! Und ich weiß, welche Anstiege mit dem Giant Schiebegarantie hatten. Auch die Abfahrten machen mehr Spaß. Das Rad läuft viel ruhiger und stabiler. Das Wort zuverlässig fällt mir öfters ein. Ich freue mich sehr, und auf einmal ist mir auch nicht mehr ganz so bang vor den Hügeln von Devon.
Hinter Moosach kommt mir kurz mal der Isar-Inn-Weg abhanden. Ich sehe nur noch Mangfall-Sempt ausgeschildert. Das sind zwar auch Fließgewässer aber in komplett falschen Himmelsrichtungen, nämlich Süd und Nord. Weil ich eh keinen Empfang habe und mich somit im Offline-Scouting üben muss, fahre ich einfach weiter, weil ich weiß, dass ich nach Grafing muss, was ebenfalls ausgeschildert ist. War richtig, denn in Grafing verabschiedet sich Mangfall-Sempt nach Norden (wie erwartet) und Isar-Inn taucht wieder an den Schilderbäumen auf.
Der Weg führt weiter durch stattliche Gehöfte, kleine Dörfer und viel Natur. Weit im Süden thronen der Wilde und der Zahme Kaiser (glaube ich) unter einem blauen Himmel-Baldachin. Näher bei mir hier wird der Erdboden feucht und schwarz, und das bedeutet unweigerlich, dass jetzt jedes Dorf irgendwas mit Moos im Namen hat. Moosach, Pollmoos, Moosholz, und wer Obermoos sagt, muss auch Untermoos sagen. Des Themas höchste Vollendung sind allerdings tatsächlich Unterübermoos und Oberübermoos.
Kurz vor Wasserburg türmen sich die Meggle-Türme vor mir und die schwarzen Regenwolken hinter mir auf. Ich verzichte auf Wasserburg City und steuere den Bahnhof an, der zwar Wasserburg Bhf heißt, der aber vier Kilometer außerhalb der Stadt in Reitmehring liegt. Muss man wissen; macht das Leben einfacher und spart ein paar Höhenmeter.
Ein Triebwagen der Westfrankenbahn (sic!) wartet schon; der Regen kann allerdings nicht mehr warten und ergießt sich, als ich mit Nussschnecke versorgt in den Wagon steige. Perfektes Timing. Perfekte Tour.