Von Duisburg nach Recklinghausen

Oberhausen,  Bottrop,  Essen,  Gelsenkirchen, Recklinghausen sind Orte auf meinem heutigen Weg.  Ich entschied mich gegen Xanten und für das Ruhrgebiet.  Was ist schon Xanten?  Außer,  dass dort der Siegfried herkommt und es die einzige deutsche Gemeinde ist, deren Name mit X anfängt.  Also verabschiede ich mich offiziell vom Rhein, seinem Radweg Euro Velo 15 und suche die Emscher.  Sie soll mich durch das Ruhrgebiet führen.  Ich finde sie recht schnell dank Google Maps und ihren Geruchs.  Deshalb dies hier:

Offener Brief an einen Fluss:

Liebe Emscher,  ich grüße Dich. Als ich mich entschloss,  dich zu besuchen und nicht die Lippe,  deren Tourismusverband mächtig aktiv ist,  wusste ich nur wenig über dich.   Eigentlich nur,  dass du einen Radweg hast,  eine Website und ein ganz schlechtes Image.  Seit heute weiß ich,  dir geht es nicht gut.  Deine Wächter sprechen von „offenem Abwasserkanal“ und „Meideraum“,  wenn sie von Dir sprechen.  Und sie haben leider Recht.  Man riecht dich. Natürlich kannst du nichts dafür.  In der Zeit,  in der sie dich in dein Korsett gesteckt haben,  wurden Flüsse hauptsächlich zur Entsorgung oder Versorgung missbraucht.   Aber deine Wächter,  die sich jetzt Flussgebiet-Manager nennen,  wollen Dir helfen.  Sie haben den Weg angelegt mit vielen und großen Schildern.  Sie installieren Kunstwerke entlang deiner Kanalböschungen,  und sie werden dich umbauen.  Aus dir soll ein Lebensraum werden,  für Mensch und Natur.  Das dauert ein paar Jahre,  aber es ist eine schöne Aussicht.  Dann kehren deine Flussgeister auch wieder zurück.  

Solche Sachen gehen einem durch den Kopf,  wenn man tagelang allein ist.  Der Emscher-Weg führt aber nicht nur am Abwasserkanal entlang.  Es ist eigentlich ein sehr schöner Weg,  quer durchs Ruhrgebiet und hauptsächlich im Grünen.  Oder durch Siedlungsgebiet,  das manchmal sehr dörflich  anmutet. Viel ist bunt, olle Brücken leuchten in grellen Blau,  Kunst steht überall herum. Wo bin ich nochmal?  Ruhrgebiet?  Meine süddeutsch-überheblichen Vorurteile schmelzen dahin,  und ich werde innerlich kleinlaut. Irgendwie ist mir heute sowieso ein bisschen weinerlich zumute. Vielleicht liegt es am Wetter.  Es ist schwül-warm,  trotz des starken Windes.  Die Gewitterfront hinter mir macht mir Angst.  Mein Kreislauf ist nicht auf der Höhe,  mir schläft abwechselnd ein Fuß oder eine Hand ein,  und ich muss regelmäßig gähnen.  Kein gutes Zeichen. Aber der Wind macht Spaß.  Ich fahre einfach,  bis ich nicht mehr kann,  und dann sehen wir weiter.

Ich glaube,  es war in Bottrop,  da gerate ich in den VivaWest-Marathon,  Kilometer 24. Die Läufer sind noch nicht da,  aber die Versorgungsleute sind so nett und drücken mir eine Banane in die Hand (keine gute Idee). Kurze Zeit später sehe ich die Läufer,  sie sind erst bei Kilometer 15. Vor malerischer Kulisse trommeln japanische Ruhrgebietstrommler den Takt.  Große Laufveranstaltungen machen mir ja sowieso schon regelmäßig Gänsehaut,  und wenn dann noch große Trommeln dazukommen, kann es schon sein,  dass ich die Fassung verliere.  Bevor das hier passiert,  verlasse ich die Läufer und suche meine Emscher wieder. Sie holt mich mit ihrem irdischen Geruch wieder in die Realität.

Inzwischen kommen immer mehr Baustellen,  an denen Bagger das starre Flussbett etwas aufgebrochen haben.  Sie tun also was.

Mein Ziel ist das Schiffshebewerk in Henrichenburg.  Wenigstens diesen Punkt meiner Wunschlistenorte will ich nicht aufgeben.  An so vielen anderen bin ich schon vorbei, ohne sie gesehen zu haben.  Das Schiffshebewerk gibt es in neu und in alt.  Alt ist aus dem vorletzten Jahrhundert,  restauriert,  aber nicht mehr funktionsfähig.  Aber mächtig imposant.  Ein Aufzug für Schiffe, damit sie von einem Kanalniveau auf das andere konnten. Unglaublich,  auf was für Ideen die Leute kommen und es funktioniert auch noch.  Ich könnte jetzt Wikipedia nacherzählen,  verweise aber lieber für die Interessierten: schaut selbst nach,  wenn es euch interessiert. Die Physik dahinter kann ich sowieso nicht erklären.

Das Gewitter kommt immer näher,  der Wind wird stärker.  Ich will nicht nass werden! Mithilfe diverser Apps plane ich den Tag und den morgigen.  Ich fahre zurück nach Recklinghausen,  steige dort in den Zug nach Münster.  Dort werde ich zwei Nächte bleiben, werde den Montag zum Wäschewaschen und regenerieren verwenden.  Und die Regenfront im Trockenen aussitzen. Dienstag geht es weiter.

Links: 

 

Daten des Tages #10
Strecke 65,5 km
Zeit 4:50 h
Ø 16,7 km/h
Höhenmeter ↑ 293 m, ↓ 288 m
Track Strava
Flüsse Emscher, Rhein-Herne-Kanal, Dortmund-Ems-Kanal
Knüller des Tages Das dümmlich-grinsende Gefühl im Kopf, wenn mich der starke Rückenwind vorwärts treibt
5 Gedanke zu “Ruhrgebiet, ich steh auf dihich”
  1. Liebe Alexandra,
    ich habe auch schon mal so ein Schiffshebewerk (ein altes und ein neues) begutachtet. Im Osten des Landes, frag mich nicht wo genau das war. Sehr imposant.
    Ich finde das ne gute Idee die Gewitterfront einfach im Trockenen auszusitzen. Und ein bisschen Ruhe tut ja sowieso mal gut.
    Ich bin ehrlich überrascht über die Bilder aus dem Ruhrgebiet. Doch so ganz anders, als man das kennt.
    Liebe Grüße
    und gute Erholung
    Helge

  2. Liebe Alexandra,
    so viel Zeit mich sich alleine zu verbringen ist immer spannend. Da darf die Stimmung auch mal ein wenig wackeln.
    Du hast jedenfalls wieder viel Schönes gesehen und erlebt, etwas weniger schönes gerochen 😉 und hattest deinen Spass! Und darum geht es doch im Urlaub, oder?

  3. Emscher? Was du aber auch für Gewässer in Deutschland auffindest. Hattest du dein Rad in dem Rad-Park-Chaos in Münster auch abgestellt? Wenn ja, wie hast du es wieder gefunen? Per Satelitenortung?

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