Autos und Radfahrer sind natürliche Feinde. Sie mögen sich nicht, können nicht koexistieren, bekämpfen und behindern sich, wo es nur geht. Die Straße ist ihre Arena. Und Schuld sind natürlich … Moment. Nicht ganz so schnell! Kurz mal durchatmen und nachdenken.
Ich bin Radfahrerin. Ich radle oft zur Arbeit über Land und für Besorgungen in die große Stadt, mache Ausflüge am Wochenende oder eine schnelle Rennradrunde vor Sonnenuntergang. Und ich durchquerte letztens Deutschland auf dem Rad: Bodensee – Nordsee und weiter. Wenn man mich fragte, wie es um das Radfahren in unserem Land bestellt ist, fallen mir ganz schnell ganz viele schlimme Sachen ein. Ich könnte erzählen von den zu hohen Bordsteinkanten und malerischen Kopfsteinpflastermustern, die auf dem Rennrad unzumutbar sind. Von den Autofahrern, die auf keinen Fall hinter einem Fahrrad fahren können, auch nicht wenn dieses schon 32 km/h in der Dreißigerzone fährt und die Straße unübersichtliche Kurven macht. Mir fallen die Fahrradampeln ein, die eine gefühlte Ewigkeit vor der Autoampel auf Rot schalten – und ohne Gelb dazwischen, und mich immer wieder in Gewissenskonflikte zwingen. Oder der wunderbar breite und frisch asphaltierte Radweg neben der großen Straße, der nach einer schönen Abfahrt unten abrupt endet, zum Stillstand und zum Überqueren der großen Straße zwingt. Oder die Frau, die in ihrem dicken Auto auf dem Radweg steht und mit ihrem Handy spielt.
Auf der anderen Seite fahre ich auch Auto, und deshalb weiß ich: Autos bewegen sich in einer Umwelt, die für sie gemacht und optimiert ist. Das vermittelt Sicherheit. Zusammen mit ABS, ESP, BAS, und einer Reihe anderer Assistenten plus einer Menge Blech um einen rum, kann man in einem Auto schon mal die anderen Verkehrsteilnehmer „vergessen“. Das sehe ich realistisch. Und so lange unsere Umwelt eine Welt ist, die um Autos herum gebaut wurde, bleibt das auch so.
Ich fühle eine ähnliche Sicherheit auch auf dem Rad. Wenn ich nämlich auf einem Weg unterwegs bin, der nur für mich als Radfahrerin gedacht und gemacht ist. Dabei ist es egal, ob dieser Weg neben einer vierspurigen Bundesstraße entlangführt oder auf einem einsamen Elbedeich in Mecklenburg-Vorpommern. Auf diesen Wegen muss ich nicht dauernd nach möglichen Gefahren Ausschau halten, ein Fehlverhalten anderer möglichst voraussehen, nur um mich selbst zu schützen. Ich kann mich aufs Fahren konzentrieren, auf die Landschaft, die ich durchfahre, kann in der Gegend herumsinnieren – oder einfach mal an nichts denken.
Das ist für mich die Essenz des Radfahrens: Die Welt unmittelbar und reduziert erleben, ihre Temperatur, die Gerüche, auch mal Regen und Schnee und natürlich die drei Windrichtungen des Radfahrens (Rückenwind, Gegenwind, kein Wind). Gesund und umweltfreundlich ist es zudem. Also wäre es doch schön, wenn möglichst viele Menschen aufs Rad steigen. Die Radindustrie tut ihres dazu, indem sie zum Beispiel E-Bikes an ehedem radferne Bevölkerungsgruppen bringt.
Auch in der Verkehrspolitik tut sich einiges: Gegen eine Einbahnstraße zu radeln, wird schon sehr lange praktiziert, ist aber erst seit wenigen Jahren legal. Aktionen wie „Stadtradeln“ oder „Mit dem Rad zur Arbeit“ animieren zur Frischluftbewegung. Lange und kürzere Radwanderwege mit vielversprechenden Namen sprießen allerorts aus dem Boden. Aufgelassene Bahnstrecken mutieren zu Radwegen. Es tut sich was und das ist vielversprechend. Aber: Bis unsere Verkehrswelt ebenso zwei- wie vierradzentriert ist, braucht es allerdings noch einiges.
Und was es auf jeden Fall immer braucht, ist ein gutes Miteinander. Banal und einfach. Wenn ich weiß, wie mein Verkehrspartner die Welt sieht, kann ich mich darauf einstellen und entsprechend reagieren. Das gilt übrigens auch für Radfahrer untereinander. Handzeichen, zum Beispiel sind bei uns schwer aus der Mode geraten. In Dänemark dagegen signalisieren Radler denen, die hinter ihnen fahren, dass sie anhalten werden. Äußerst sinnvoll auf vollen Radwegen.
Die Autowelt ist schon ziemlich optimiert, also sollten sich jetzt alle darauf konzentrieren, die Radwelt, die Fußgängerwelt, die Rollatorenwelt, die Kinderwagenwelt soweit zu bringen, dass sich deren Bewohner und Bewohnerinnen nicht nur wohl sondern auch sicher fühlen.
Allerdings kann ich trotz allen Wohlwollens nicht ausschließen, dass ich den einen oder anderen Autodeppen anschreien muss, wenn er mich auf dem Radweg schneidet. Aber das ist ja dann pädagogisch und im Grunde nur gut gemeint.