Und weiter geht es auf meiner Reise von Bayern nach Venedig. Der Geschichte erster Teil steht hier.
Tag 3: Über den Alpenhauptkamm
Prutz nach Prad: 78,5 km, 5:47 h, 1.112 hm
Der Morgen in der Gemse in Prutz beginnt protzig. Ich glaube, ich bin die einzige Gästin und muss alles wegfrühstücken, was noch in der Küche ist. Vollgestopft gebe ich irgendwann auf. Die Wirtin zwingt mich dann noch mir Semmeln für den Weg zu schmieren. Mach ich gerne, denn es steht ja eine anstrengende Etappe vor mir. Über die Berge. Den Alpenhauptkamm. Reschenpass. Alles Worte, die mir Respekt einflößen.
Aber erstmal geht es nicht so spektakulär los. Die Sonne schafft es eben mal so über die Berge. Wo sie noch nicht ist, liegt der Reif auf der Wiese und auf meinen Ohren. Minusgrade. Nach knapp einem halben Kilometer halte ich an und ziehe noch ein paar Schichten an.
Der Innradweg ist schön und schön ausgeschildert. Immer wieder unterbinden Schilder die Diskussion um den richtigen Weg und weitläufige Malereien auf der Straße ermöglichen einen reibungsfreien und großen Durchsatz an Radlern. Aber heute bin ich so gut wie allein. Für alle, die auch lieber ruhige Straßen haben, der Tip: Fahrt dienstags Ende September. Nix los.
Das Tal wird immer enger. Der Inn lauter und die Steigung immer spürbarer. Als ich die Kajetansbrücke passiere, weiß ich, dass es nicht mehr weit ist bis zum Aufstieg zur Norbertshöhe.
In Martina passiere ich erst unglaublich sexistische Werbung eines Holzwerks und dann die schweizerische Grenze. Weil ich keinen Empfang habe, gibt es keinen Abschiedstweet und ich bewege mich gleich zum Anstieg, fahre ein bisschen und das war’s dann auch schon wieder mit dem Fahren. Weil ich meinen Puls im Normalbereich halten will, muss ich halt schieben. Macht aber nichts, weil ich mich eh schon darauf eingestellt hatte. Und weit ist es auch nicht. Also Wandertag: Elf Kehren, sechs Kilometer, keine 400 Höhenmeter. Zwischendurch fahre ich mal wieder ein Stück, singe vor mich hin und freue mich an der Sonne. Die Straße ist zum Glück sehr leer. Und irgendwann bin ich dann oben an der Norbertshöhe. Ja Mensch, denk ich mir, mache ein Foto und fahre weiter hinunter nach Nauders.
Dort drehe ich mir schnell ein Stück Kuchen rein, und weiter geht es nach Reschen, dem eigentlichen Pass. Hier oben ist es schon deutlich voller. Lauter Fußvolk auf den Wegen. Den Reschenpass verpasse ich. War der an der Grenze nach Italien? Egal. Der See liegt vor mir, aber wo ist jetzt dieser versunkene Kirchturm, rechts rum oder links rum? Ich entscheide mich für rechts und sehe dann nach einiger Zeit, dass die Kirche doch links versunken ist. Also zurück. Der Himmel ist so blau, dass es blauer schon nicht mehr geht. Außer vielleicht der See. Am Horizont schon Schneegipfel und zwischen allem ein wirklich heftiger Wind aus günstiger Richtung.
Als ich mein Foto vom See und meinem Rad durch die Sozialen Medien schicke, kommt langsam Stolz auf. Eigentlich habe ich es ja jetzt geschafft mit der Alpenüberquerung. Ab jetzt geht es nur noch bergab. Ich entscheide, trotzdem weiter zufahren. Ziel ist ja Venedig.
Der Etschtalradweg hat ziemlich weit oben ein Loch mit einer Umleitung, deren Ausschilderung ich im entscheidenden Mittelteil verpasse, und, um die Bundesstraße zu vermeiden, ein paar hundert Meter über eine Wiese schiebe. Lieber so als von Autos gestresst zu werden. Insgesamt geht es bergab, mal steil mit über 18%, mal auch angenehm und übersichtlich. Immer entlang der kleinen Etsch, die sich mit mir zusammen in die Tiefe stürzt.
Als es dann nicht mehr so steil ist, merke ich die Anspannung und Anstrengung. Mein üblicher Mittelwert für Radtouren sind fünf bis sechs Stunden reine Fahrzeit. Die sind heute in Prad erreicht. Hier haben der Mann und ich einen unserer ersten gemeinsamen Urlaube verbracht. Vor zwanzig Jahren, damals noch mit Motorrad und Zelt auf dem Weg zum Stilfser Joch. Es waren andere Zeiten und das Stilfser Joch juckt mich heute auch nicht mehr. Vor besagtem Campingplatz hocke ich jetzt und buche mir übers Internet ein schnuckeliges Hotelzimmer. Ohne Skrupel.
Tag 4: An der Etsch
Prad nach Tramin: 110 km, 6:01 h, 225 hm hoch (und 794 hm runter)
Beim Frühstück im Hotel Astoria treffe ich den Solo-Radler wieder, der mir gestern zwischen Nauders und Reschen glaubte, Gesellschaft leisten zu müssen. Gestern war ich einsilbig, weil kurzatmig. Heute bin ich es, weil ich keine Lust zu reden habe und auch keine Lust auf eventuelle Reisebegleitung. So bin ich. Isso.
Heute steht Etsch-Highway auf dem Programm. Und ganz viel bergab. Ich bin gespannt. Die Fahrt ist toll. Anfangs auch noch gar nicht so voll, der Weg. Erst später am Tag mit stärkerer Sonne nimmt die Dichte der Radler zu. Alle Arten, Alter und Farben. Der Etschradweg ist definitiv ein Touristenfaktor. Und ein Landwirtschaftsfaktor sind die Äpfel. Nicht zu fassen, wie viele Äpfel hier geerntet werden. Einer schöner als der andere. In einer uneinsehbaren Ecke traue ich mich endlich und klaue mir einen. Sehr lecker und demeter noch dazu.
Nachdem ich jetzt schon ein paar Tage unterwegs bin, haben sich meine Pläne verfestigt und ich weiß, wann ich zurückfahren möchte. Deshalb fahre ich nach Meran hinein, um mir und dem Rad eine Fahrkarte zu kaufen. Der junge Mann am Trenitalia-Schalter kann mir aber keine Fahrradkarte für den EC aus Venedig verkaufen. Ich möge doch bitte nach Bozen fahren, dort gebe es einen DB/ÖBB-Schalter. Dort können sie. Da fragste dich doch echt, warum sowas noch so ist, im Zeitalter der Vernetzung.
Aber weil Bozen eh in der Richtung liegt, wo ich hin will, rege ich mich nicht sehr auf. Nur nachträglich ein bisschen, weil Bozen eben nicht an der Etsch liegt sondern etwas abseits an der Eisack, weil Bozen eine laute, große Stadt ist, und weil der Bahnhof mitten in der lauten, großen Stadt liegt. Immerhin habe ich aber dann meine Fahrkarten, auch fürs Rad, und kann wieder auf den ruhigen Radweg fliehen. Mein Ziel für heute ist Tramin, etwas abseits der Etsch den Berg hoch. Ich schäme mich nicht zu schieben. Allerdings ist mein Schieben so langsam, dass das Garmin keine Bewegung registriert und nur 109 Kilometer statt der wirklichen 111 zählt.
Schöne Tour und traumhafte Fotos! Der Reschenpass steht auch schon lange auf unserer Liste, stelle ich mir wahnsinnig schön vor.
Das mit den Bahntickets verstehen wir auch nicht. Wir mussten damals von Venedig mit dem Bummelzug zurück…
Liebe Grüße, Julia
Hallo Julia, das ist wirklich schön da oben am Reschensee. Und auch die Auffahrt. Ich könnte mir nur vorstellen, dass es an einem Sommerwochenende eher voll ist. Aber das lässt sich ja vermeiden. Mit dem Bummelzug bis nach Deutschland oder Österreich? Da habt Ihr aber auch viele kleine Bahnhöfe gesehen, oder 🙂 Man sollte echt meinen, dass es kein Act ist, die Systeme zu vernetzen, aber naja, wohl schon. Dann wünsche ich dann irgendwann mal viel Spaße beim Reschenpass!
Zurück nach Osttirol (da stand unser Auto). Das Problem war, dass der IC, mit dem wir von Venedig nach Franzensfeste fahren wollten, ein deutscher Zug war. Und da Venedig keinen DB-Schalter hat, konnten wir für die Fahrräder keine Tickets kaufen (Personentickets aber schon, logisch…). Also mehrmals umsteigen und – du hast recht – seeeeehr viele kleine Bahnhöfe 😉 Das Schlimmste war aber, dass der Bummelzug ab Verona auch nur acht (!) Stellplätze für Fahrräder hatte und ziemlich viele Radfahrer entlang der Strecke nicht mehr zusteigen durften… Für mich unverständlich, immerhin sollte man auf der Strecke mittlerweile an die Anwesenheit von Radfahrern gewöhnt sein…